Ist ein Sportfotograf ein "echter" Fotograf?

"Echte" Fotografen komponieren ihr Bild und arrangieren ihr Umfeld - Oder? Beweise gefällig?
Schauen wir z.B. mal zur Model- oder Portraitfotografie. Zunächst werden Fotomodelle aus Katalogen oder Verzeichnissen ausgewählt, dann stundenlang mit allen möglichen Mittelchen betupft, die Haare gestylt, die Wimpern verlängert, die Brauen gezupft und vor der Kamera solange hin und her dirigiert, bis der Fotograf mit der Pose zufrieden ist. Dazu stehen am "Set" viele Leute, die Verantwortung für jeweils ein kleines Detail am Set tragen: Der Eine für die Haare, die Andere für den korrekten Sitz der Falten (natürlich die des Kleides ;-), weitere Personen kümmern sich um die korrekte Anordnung der Blitze und ein weiterer hält vielleicht den Reflektor oder einen Sun-Swatter. Und sogar ein Catering Team steht oft am Rande bereit, um die Stimmung der Crew auf einem guten Niveau zu halten. Hat der Fotograf dann endlich auf den Auslöser gedrückt, natürlich erst nachdem ihm sein Assistent den voreingestellten Fotoapparat "gereicht" hat (es sind ohnehin meist immer die gleichen Einstellungen), landet das Bild auf einem Monitor mit 16-Bit-Look-Up-Table und Wide-Gamut-IPS-Panel. Anschließend wird
 die Aufnahme, selbstverständlich unter kontrollierten Lichtbedingungen, akribisch in der 400% - Ansicht in Photoshop bearbeitet. Und wenn das Ergebnis dem Kunden mal nicht passt, na dann wird die ganze Szene einfach nochmal wiederholt. 

Oder der Produktfotograf! Mit Akribie, Klebeknete und etwas Rauch oder Kälte aus der Sprayflasche wird das Objekt stundenlang angeordnet. Oftmals wird das "echte" Objekt durch ein künstliches ersetzt, weil es besser oder appetitlicher als das Original aussieht oder weil das eigentliche Produkt die Belastung im Studio nicht so lange aushalten würde. Dann wird die Lichtquellen solange hin- und hergerückt und der Hintergrund verschoben, der Bildausschnitt noch einmal geprüft und korrigiert, bis schlußendlich die Anordnung wunschgemäß ist und der Fotograf auf den Auslöseknopf am angeschlossenen Computer drücken kann und das neue Bild direkt auf der Festplatte landet.

Ähnlich ist es beim Landschafts- oder Architekturfotografen. Der wandert irgendwo hin, meist dorthin wo es schön ist und stellt sein Stativ auf. Vielleicht noch die eine oder andere Korrektur am 3-Wege-Neiger, noch ein paar Millimeter höher oder nach rechts und manchmal wird auch noch eine Filterscheibe vor das Objektiv geschoben oder ein Belichtungsparameter um 1/3 Blendenstufe korrigiert und fertig ist das Foto! Zu dunkel oder unerwünschte Äste im Bild? Die Sonne steht zu hoch oder der Mond ist wolkenverhangen? Kein Problem, dann wartet er einfach einen Moment und die Aufnahme wird wiederholt - oder er kommt an einem anderen Tag nocheinmal vorbei...

Und der "arme" Sportfotograf?

Der sitzt bei Wind und Wetter, Kälte, Schnee und Hitze am Spielfeldrand, meist auf einem wackeligen Drei-Bein-Hocker, mit einer Ausrüstung im Wert von mehreren 10.000 Euro, immer wieder bedroht von Bengalos schwenkenden, Raketen startenden oder bierspritzenden Fans. Zudem befindet er sich in einem ständigen Wettstreit mit seinen Kollegen (und den wenigen Kolleginnen) um die besten Fotoposition. Und die Bildkomposition? Die besteht meist "nur" darin, eine kommende Aktion und deren Ort vorauszuahnen, um rechtzeitig zur Stelle zu sein. Denn ist der siegbringende Torschuss verfehlt, der Jubel verpasst oder der Wutausbruch nicht auf dem Chip gebannt, war meist der gesamte Ausflug ins Station vergebens.


Aber manchmal, nur ganz selten, komponiert der Sportfotograf.


Aber manchmal, wirklich nur ganz, ganz selten, hat man auch als Sportfotograf ein Bild im Kopf, das man "komponieren" möchte. Und genau so ein Bild befand sich seit geraumer Zeit in meinem Kopf. Hier die einzelnen Zutaten: Olympiastadion Berlin, Leichtathletik, Laufwettbewerb, die blaue Laufbahn -nur die blaue Laufbahn als Bildhintergrund- , dazu ein harter Schattenwurf und  im Idealfall der Sportler oder die Sportlerin komplett in der Luft, also getrennt vom Schatten.

Für ein solches Bild müssen allerdings viele Umstände gleichzeitig eintreffen: Natürlich muss zunächst einmal ein Laufwettbewerb stattfinden. Im Olympiastation ist das beim Internationalen Stadionfest (ISTAF) im Oktober der Fall. In diesem Jahr bot sich eine  zusätzliche Gelegenheit und zwar im Rahmen von "Die Finals", die vom 30. Juli bis 4. August 2019 erstmals gleichzeitig stattfindenden zehn Deutschen Meisterschaften. 


Also hoch auf den Oberring.


Um eine weitere Voraussetzung zu erfüllen (zur Erinnerung: Der Hintergrund des Bildes sollte nur aus der blauen Laufbahn bestehen), war eine hohe Aufnahmeposition notwendig. Also hoch auf den Oberring des Olympiastadions! 

Allerdings war der Zugang zum Oberring im Bereich der Ostkurve gesperrt. Hier half mir die Sonderakkreditierung der Berliner Senatsverwaltung für Sport, diesen für alle anderen Fotografen gesperrten Bereich zu betreten.


Dann muss die Uhrzeit passen.


Dann muss die Uhrzeit muss passen. Denn nur wenn die Sonne so steht, das ihr Licht direkt durch das Marathontor in Stadion fällt, gibt es den erwünschten Schattenwurf. Gegen 16:00 Uhr waren die Beleuchtungsbedingungen ideal und die reichlich vorhandenen Haufenwolken gaben die Sonne frei.

Dazu musste die Aufnahmeposition präzise im Scheitelpunkt der Ostkurve liegen, um einen relativ parallelen Verlauf der Bahnmarkierungen zu erreichen. Und auch der gerade laufende  Wettbewerb musste passen, denn weder die 100 Meter Läufe, noch die Distanz von 200 Metern würden an der ausgewählten Aufnahmeposition vorbei führen. Glücklicherweise liefen aktuell die beiden 400 Meter Vorläufe, dass bedeutete genau eine Gelegenheit, bestenfalls zwei (zwei Vorläufe = zwei Chancen, denn zum Finale wäre die Sonne schon wieder weg), das gewünschte Bild zu erzielen.

Jetzt fehlt nur noch das richtige Equipment: Ich habe meine Canon EOS 1DX Mark II mit dem EF 200-400mm f/4L IS USM Extender 1.4x mit den folgenden Belichtungsparametern eingesetzt: 1/1600 Sek (sicherheitshalber), Blende 5.6 und 800 ISO. Und dann:  - Klick, Klick, Klick - Klick, Klick -

Blieb nur noch eine geringe Nachbearbeitung der aufgenommenen JPG-Bilddateien in Adobe Lightroom: Geringfügiger Bildzuschnitt, leichte Erhöhung des Kontrasts, deutliche Verringerung der Lichter und -ausnahmsweise um die "künstlerische" Wirkung des Bildes zu verstärken und den Blick des Betrachters noch stärker zu lenken- das Einfügen einer künstlichen Vignette.

 

Und schon ist das Bild aus meinem Kopf fertig:



MEIN FAZIT: SPORTFOTOGRAFEN SIND AUCH "ECHTE FOTOGRAFEN"!


Canon 1 DX III, Mark III , Testbilder
The Finals 2019 - Olympiastadion Berlin, 400 Meter-Lauf, Ruth Sophia Spelmeyer